_himbeergeist: #01 BEGIERDE, Berlin 2008
Leowee Polyester, Johannes Kreidler | Sopran: Franzika Rummel

 

_himbeergeist: #00 BEGIERDE, Berlin 2007
Leowee Polyester, Johannes Kreidler

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text/dramaturgie/wort-performance: leowee polyester | elektronik/tablet: johannes kreidler | sopran: franziska rummel | fotos: danny kurz, berlin 2007-08

_venusboy in furs

Die Verbaleskapaden einer abgetakelten Diva bruchlanden auf dem hypnotisierenden Klang-Tablet ihres Venusboy in Furs...

-[Studioaufnahme hören / Dauer 10' 18'']->

Der Venusboy, die Vision einer abgetakelten Diva von einem Gigolo im Webpelz, kritzelt in sich versunken auf einem Tablet herum; sein Stift erzeugt dabei Klang: einen grollenden Bass und darüber empfindlich hohe, zwitschernde Geräusche (über das Tablet steuert Johannes Kreidler inkognito die komplette Sound-Performance des Stücks). Während der Performance nimmt er keine Notiz von der Diva, weder als sie ihn umgarnt, noch als sie ihn, gekränkt von seiner Nichtachtung, verbal attackiert. Venusboy, Klänge und Worte entspringen in diesem assoziativen Monolog allesamt ihrem inneren Erleben.

Bevor sie zu sprechen beginnt, stolziert die Diva mit finsterem Ausdruck die Bühne auf und ab und mustert, halb lauernd, halb verächtlich, das Publikum.

 

Selbsthilfegruppe. Sehr gut. Sehr, sehr gut. Hast ja schon ein reichlich dramatisches Leben. Venedig sehen und sterben, so ungefähr. Und macht man sein Leben nicht zum Drama, um davon abzuschreiben? Sich in den Wortfluss zu stürzen hilft immer. Da gurgeln Trittsteine aus dem Flussbett, glitschig und aufregend wie ich und – du.

OFF: Boy, you‘ re so Venus!

Der Anfang ging schon heftig ab. / O Mann, was für eine Story. / Nichts für zarte Seelen. / Heute kann ich auch nicht mehr verstehen, warum ich so heftig reagiert habe. / Das flog alles so schnell vorbei und ich war noch etwas gejetlagged. / Es ist passiert. Das zählt. / Protagonisten bekannt, Motive offen, Handlungsausgang ungewiss.

OFF (Trommelwirbel): GO GO GO GO!

Es war nach unserer zweiten Nacht. Ich lag auf meiner Matratze, schwindelig vor Erschöpfung. Draußen schien die Aprilsonne, ich lag mit hinter dem Kopf verschränkten Armen, schaute aus dem Fenster in den Himmel und plötzlich wuchs da in mir eine Pusteblumenwiese... (Bach: Brandenburgische Konzerte Nr. 6 B Dur, Allegro)

Diese kleinen, flockigen Hubschrauber schleuderten mich durch die Luft, es gab nur noch Blau und dieses brausende Gefühl von dir…

 

OFF (alberne Mickey Maus-Stimme): Mit Zungen aus Zuckerwatte saugst du an meinen Näpfen.

Und dann, irgendwann – liegst du da wie ein verwelkter Säugling und imaginierst Splatter-Szenen mit deinem Herzen (Übertriebenes Geheul). Zu wenig Bewunderung auf deiner Haut. Im hanging garden deines Busens. Nicht das All bewegt sich, sondern dein blanker Schädel unter der Perücke, der blanke Wahnsinn. Müpfst dich auf mit deinen langen Locken und lachst dem Leben eine kecke Nase. Heute ist nur leider kein Perückentag. Heute ist ein Tag, an dem dein Triumphgelächter dir mal wieder zurück in die Fresse gedrückt wird.

Spricht das Burgfräulein...

OFF (alberne Mickey Maus-Stimme): Lass dich meine Spalte ritzen...

Lass mich deine Hose schlitzen...

OFF (alberne Mickey Maus-Stimme): Steilauf zum Degengruß!

 

Alles ist immer irgendwie schon vorbei. Man sollte früh damit beginnen die Erinnerungsstücke zu archivieren. Eintrittstickets, Chat-Protokolle, leergevögelte Kondompackungen, Notizen mit seiner Handschrift: »Baby, bin Brötchen holen!« – (wirft Plüschherz Richtung Publikum) – oder was ähnlich Profanes. Sich sofort an die Einweckprozedur machen.

(In the Mood for Love) Liebe ist ja auch nur so eine Idee. Hält man nicht alles künstlich am Leben? Sich auch. Ich sollte einen Fotografen heiraten, auf dass er mich gegen die Vergänglichkeit verteidige. Und mit dem richtigen Soundtrack ist das Leben wie neu... (David Bowie: Cracked Actor)

(Dramatisch ausholende Geste) Ich werfe mein Bild von dir an den einzigen Horizont, den ich vor mir sehe.

(Space-Sound) Dort ins Würfelweltall, wo aus der Wandverkleidung Raubtiere röhren, dorthin narr ich dich, blind, dort erspähst du mich, Wolf, dort lieg ich auf fahlem Licht, nackt. Mit Silberkugeln schellst du an meinem Muschelgrund, bezüngelst du mein Zierfischbecken, eine blaue Stunde lang treibst du mir deine Flusen ein, dass wir am Anfang vom Ende Orchideenmäuler aus dem Waschtrog pflücken und uns mit Sekt bespucken.

OFF: Boy, your‘re so nasty!

 

Sie tritt hinter ihn, streicht mit der Handfläche seinen Oberkörper hinab bis zum Schritt.

Dein schmaler, gespannter Aristokratenkörper.

OFF: My Venusboy in Furs...

Dein Aristokratenschwanz, der sich in meine Handhöhle bäumt.

OFF: My Venusboy in Furs...

Deine Aristokratenstimme an meinem Ohr.

OFF: My Venusboy in Furs...

Ich blute.

Sopran singt im Hintergrund eine tragische, atonale Melodie…

 

Schau mich an!

OFF (seine Stimme): Der Server ist ausgelastet.

Ich brauche deine Aufmerksamkeit!

OFF (seine Stimme): Leider haben Sie auch auf unsere Mahnung vom 26.04.2006 nicht reagiert.

Nein, nicht so, schau mich anders an, schau mich bewundernd an! Ich will, dass du mich zelebrierst... Ich will, dass du ein Event machst aus uns, dass wir ein Erlebnis sind zusammen. Schau zärtlich.

Schwärmerisch: Wenn du mich so ansiehst...

Er sieht sie nicht an.

Ungeduldig, fordernd: WENN DU MICH SO ANSIEHST!

Er sieht sie nicht an. Der Sopran verklingt.

 

Soll ich dir mal was sagen? Selbst die intelligentesten Leute sehen dumm aus, während sie schlafen! Ist das nicht PEINLICH? Da sehe ich am liebsten weg.

OFF (seine Stimme): Ach halt doch die Klappe.

So eine Wirtschaftszeitung. Das sind mir zu viele Einschüsse von Realität, das kann ich nicht gut vertragen, besonders nicht abends als …

OFF: Er schaut seine Geliebte nicht mehr an.

… Bettlektüre.

OFF: Seine Geliebte ist zu alt für ihn.

 

Sie tritt hinter ihn. Süffisant:

Weißt du, was ich an Krawatten nicht mag? Ich mag Krawatten, wenn sie so halbseiden um deinen Hals liegen. Wenn sie deine Nacktheit betonen.

Zieht ihm lasziv seinen Schal aus Kunstfell weg, der ihm um den Nacken liegt.

Deinen kalten Reiz.

OFF (robotisch schnell): Begierde bezeichnet den seelischen Antrieb zur Behebung eines Mangelerlebens mit einem damit verbundenen Aneignungswunsch des Gegenstandes oder Zustandes, welcher geeignet erscheint, diesen Mangel zu beheben.

(A Silent Cry, heftiges Atmen) Geht mit seinem Schal an die Brust gedrückt neben ihm in die Hocke, flehend:

Ich will dich mir aneignen, weil du mir geeignet erscheinst, mein Mangelerleben zu beheben. Ich will dich konsumieren und mich stopfen mit dir.

OFF (m+f-Duo-Stimme, schadenfroh): Wer nicht ist, der will haben...

Ich bin das Loch, nach dem dir hin und wieder der Schwanz steht. Nichts, das bleibt von dir, wenn du dich wieder rausziehst aus mir. (Atmen verhallt)

OFF (m+f-Duo-Stimme, schadenfroh): Wer nichts hat, dem wird genommen.

Der Moment, in dem du in mich vorstößt, dieser Bruchteil einer Sekunde, in der ich ausgefüllt bin mit dir

OFF: Boy you’re so Venus!

Die Frau, das Mangelwesen, das hatten wir ja im psychoanalytischen Diskurs zur Genüge. Dieses mysogyne Gewäsch.

Wirft wütend seinen Schal auf den Boden.

 

Sie stellt sich vor ein Mikrofon. Ihre Worte gehen als Singsang ins Mikro rein und echoen multipliziert wieder raus:

Teenage girl and young man in swimwear, embracing ...

frau, wesen, füttern, erdbeer, nahaufnahme

Man kissing woman‘s neck, close-up

jung, frau, cocktails, schäkerei, nachtclub, lächeln

Man and woman kissing outdoors

braut, stallknecht, bett, frau, liegen

Couple in a Bedroom Playing

jung, frau, augen, geschlossen, lächeln, nahaufnahme

Young Couple Stand Under a Tree Kissing

Wurfkuss. Echo verhallt. Stille.

 

Desolat:

Diese Kälte ist mir zu authentisch.

Deine Kälte – verstehst du nicht? Sie ist so körperlich.

 

(Kneipenlärm) Ich trage deinen Pelz. / Die Männer an den Nebentischen schauen mich an. / Sie hören ihrer Begleitung nur mit einem Ohr zu und fragen sich, warum sie nicht allein gekommen sind. / Dann könnten sie die schöne Unbekannte ansprechen. / Warum hast du aufgehört, mich zu idealisieren? / Plötzlich muss ich so dermaßen pissen, dass es mir zu den Augen rausquillt. (Schluchzen)

Geht ihn aggressiv an, mit schneidender Stimme:

Du bringst nicht den Respekt auf, deine Eskapaden vor mir geheim zu halten. Aber ein Känguruh-Baby willst du sein, in Mamis Beutel sitzen, beschützt und warm, mit Ausblick zur Welt. Du Känguruh, ich Blauwal, oder was?

Was entziehst du dich meinem Schöpfungsprozess? Steigst einfach aus, bevor ich uns vollendet habe. Das ist das Verbrechen, das du an mir begehst! Ich könnte mich potenzieren mit deiner Potenz… Wenn deine Eltern wüssten, dass du nicht nur die alte Lady fickst, sondern auch deinesgleichen.

OFF (seine Stimme): Fünfhundert Euro und mein Schwanz gehört dir.

Wenn deine Eltern wüssten.

Süffisant:

Du kleiner Stricher...

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