text: peh | berlin 2006

_blütenwelke

Ich weiß es noch wie gestern: An diesem Morgen küsste ich Deinen Rücken und wusste nicht, ob Du zwischen all Deinen Gedanken begraben davon überhaupt etwas mitbekommst.

Du lagst bäuchlings auf dem Bett, Dein nackter Körper unter der schweren Decke, als gehörte sie Dir, Dein schöner nackter Körper eingepackt, als würdest Du frieren, dabei sprachst Du gerade noch vom Süden und wie es sich anfühlte, dort zu sein, in der Hitze nahe dem Meer – eben so wie jetzt. Dein Kinn hattest Du zwischen die Handflächen gestützt, so wie man Bücher im Regal stützt, damit sie nicht umfallen – Dein Kopf war schwer.

Du streutest Fragen wie Farben, um vom Grau abzulenken. Oder von Dir, während Deine Augen weit offen waren und immer wieder die Buchstaben an meiner Wand lasen – vorwärts, rückwärts.

Ob meine Mutter denn auch manchmal hier sei und ob es sie nicht ein wenig, nun ja, du nanntest es: verdutzte, diese Dinge an meinen Wänden zu lesen. Ich lächelte, denn obwohl Du mich oft durchschautest, wusstest Du so wenig von mir, ebenso wenig, dass meine Mutter früher selbst Wände beschrieben hatte: schwarze Wände mit weißen Buchstaben.

Du schütteltest den Kopf und fandest es noch zu abstrakt, überhaupt etwas an Wände, wenn auch nicht schwarz, zu schreiben, meintest noch, dass Deine Mutter Dich wegen so was wohl einweisen lassen würde und nanntest mich nicht ohne Lächeln rätselhaft.

Dabei kam ich mir gerade wieder vor wie der kleine Prinz im Weizenfeld da vor dem Fuchsbau, weil Du besonders warst.

Wir hatten lange nichts voneinander gehört. Vielleicht war es nur eine Woche, aber zwischen uns brannte die Luft und jeder Tag ohne Nachricht war wie ein Tag ohne Wasser, nachdem wir schon zweimal beinahe im Schweigen versandet waren, weil wir dachten, Leidenschaft sei nur Luxus und nicht Bedingung.

Tatsächlich aber warst Du mir Wasser. Ich Dir vielleicht Wein.

Kleinigkeiten also nur, die sich in diesen Tagen durch unser Schweigen schmuggelten und hier und da sich bemerkbar machten wie Sandkörner noch ab und an in der Hosentasche nach einem Sommerurlaub, dass man lächelt.

Einmal standest Du tatsächlich einfach vor meiner verschlossenen Tür und drehtest das Klingelschild um, weil ich nicht da war, nur damit ich wüsste, jemand wäre da gewesen. Natürlich hatte ich schon im ersten Augenblick gewusst, dass Du es warst, denn meine Freunde hinterließen Nachrichten – Du nur Zeichen.

An diesem Tag, es war einer dieser dunklen Frühlingstage, an denen die Sonne durchbrechen wollte, aber die Luft viel zu schwer war vom Gewitterduft, an diesem Tag hattest Du versucht mich zu erreichen. Auf dem Display des Telefons stand mehrfach „Unbekannter Teilnehmer“ in der Liste der verpassten Anrufe. Danach hattest Du 5 Nachrichten geschickt, alle ohne Belang, und ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte vor Glück oder Unglück.

Vielleicht hätten wir damals beim dritten Anlauf doch noch den Absprung ins Schweigen geschafft. Aber wir brachen unser Zölibat und ich rief Dich also zurück und Du kamst vorbei, nur auf einen Sprung.

Der Seitensprung währte schon Monate.

Beinahe verliefen wir uns in meiner kleinen Wohnung, weil wir nicht wussten, wohin wir flüchten sollten vor all den Funken, die bei der ersten Berührung flogen. Ich flüchtete in Deine Umarmung und Du mit mir ins Bett, was Deinen Geruch lange vermisst hatte und jetzt ein bisschen wärmer und weicher als sonst schien, da Deine Hände, Deine Lippen, Deine Zunge sich meine Haut erschlichen.

Du kamst spät und Deine Küsse schmeckten anders als sonst, so wie derselbe Wein anders schmeckt, wenn er geatmet hat.

Vielleicht ließ ich Dich deshalb immer wieder kommen, schamlos wie ich war, um Dich atmen zu hören.

Als Du meine Stirn küsstest, lächelte ich, wie immer, wenn es schön war, und Du fragtest wie so oft, warum ich lachte. Du hattest Dich nie an mein Lächeln gewöhnen können, vielleicht weil Du so selten gelächelt hast, und ich dachte, Du würdest gleich wieder weit weg rennen, aber Du zogst mich zu Dir und umarmtest mich nackt und lange.

Manchmal fragte ich mich, woher Deine Angst kam, und immer dann kam es mir vor als hörte ich den Wind im Weizen rauschen.

Ich küsste Deinen Rücken und meine Lippe war ein bisschen blutig, ich wusste nicht, ob von unseren Küssen oder unserem Grübeln, wünschte mir aber Ersteres, während Du Fragen wie Farben streutest, um vom Grau abzulenken – oder von Dir, denn Dein Kopf war schwer und Du hattest ihn zwischen Deine Hände gestützt, wie man Bücher im Regal stützt.

Deine Fragen nach den Buchstaben an den Wänden und nach meiner Mutter oder auch nach meinen Krisen, die ich Dir nicht erklären wollte, denn sie waren vorbei.

Fragen nach meinen Männern, derer es lange keine mehr gegeben hatte. Du hattest sie alle verdrängt, nicht nur aus meinem Kopf.

Ein bisschen wunderte es mich, dass Du so viel von mir wissen wolltest, wo Dich Menschen nur selten interessierten, und Du mich ernst zu nehmen schienst – auch wenn ich nicht sicher war, ob Du überhaupt etwas mitbekamst von meinen Küssen, so begraben wie Du zwischen all Deinen Gedanken warst.

Es waren dieselben Gedanken wie vor einer Woche. Ich besuchte Dich auf neutralem Boden, wenn man überhaupt einen Boden, auf dem wir uns bewegten, noch neutral nennen konnte – wir hatten schon so gut wie überall miteinander geschlafen. Aber hier waren Menschen und die Türen standen weit offen und es war hell.

Du hattest früh angerufen und Deine Stimme klang niedergeschlagen, so sehr, dass ich Dich einmal mehr ernst nahm, wo Du meintest, dass ich Deine Macken lustig, bald auch lächerlich finden und gehen würde. Es klang, als hättest Du Angst davor.

Da wir nicht länger telefonieren konnten, sahen wir uns wenig später. Ich wollte dieses Gespräch nicht offen lassen wie eine Wunde, die nicht heilen würde. Vielleicht wollte ich auch nur sehen, dass Dein Blick ein bisschen heller war als dieser dunkle Frühling, in den es Dich so plötzlich gerissen hatte.

Aber Deine blauen Augen schienen grau.

Eigentlich wollte ich Dir dann sagen, dass Du nach Hause gehen solltest zu Deiner Frau. Du schienst jedoch nicht glücklicher bei diesem Gedanken an sie und hieltest mich noch ein bisschen länger und länger auf, wo ich schon lange zu spät war.

Als ich mich doch endlich losriss und meinte, dass ich an diesem Abend vielleicht noch mal vorbei käme, scherztest Du, dass ich wüsste, wo ich Dich finden könnte... unter der Brücke treibend.

Ich lachte nicht, weil Sarkasmus manchmal gar nichts besser macht, antwortete ja und dass ich wüsste, wie schwarz Du manchmal sein könntest, aber auch, dass ich mir manchmal Sorgen machte. Du fragtest inwiefern, und ich fand es schade, dass Du vergessen hattest, wie Du Dich schon um mich gesorgt hattest. Vielleicht hättest Du dann verstanden, was ich meinte. Aber ich erklärte mich nicht und ging.

An diesem Abend sahen wir uns nicht. Ich kaufte mir eine sehr teure und sehr dunkle Sonnenbrille für einen Frühling ohne Sonne und frische Blumen für die Wohnung.

Sie hielten sich eine Woche, dann kamen Deine Nachrichten.

Ich küsste Deinen Rücken und als Du gingst wusste ich nichts zu sagen. Glück saß mir wie ein Kloß im Hals und ich hätte weinen können, fand es aber unpassend. Tränen wollte ich mir für die Trauer aufheben. Doch schnitt es mir die Luft ab, dass ich keine Worte fand, also verabschiedeten wir uns mit einem dieser Küsse, die man nicht vergisst.

Du gingst und ich lauschte Deinen Schritten auf dem Hof, die hallten, wie Deine Gedanken in meinem Kopf nachhallten, nur fand ich keine Stütze, und ich ahnte plötzlich, wie schwer Dein Kopf sein musste.

Dein Gehen machte mir Angst.

Ich schrieb Dir noch einmal, es war eine Frage, aber ich bekam keine Antwort.

Ich hörte nichts mehr von Dir und versuchte auch nicht weiter, Dich zu erreichen. Es war ein dunkler Frühling und manchmal schmuggelte sich ein Sonnenstrahl durch die schwere Gewitterluft wie sich früher umgedrehte Klingelschilder durch unser Schweigen geschmuggelt hatten.

Nach diesem Morgen hatte ich aufgehört, die Schlagzeilen der Zeitungen zu lesen und war froh, dass ich keinen Fernseher hatte, die Nachrichten zu verfolgen.

Ich vermied es, Menschen zu treffen, die auch nichts von Dir gehört hatten und die mir verschweigen wollten, dass man nie wieder etwas von Dir hören würde.

Vor allem aber mied ich die Brücken der Stadt, unter denen Du hättest treiben können.

Ich weiß es noch wie gestern: Es fehlte wohl nicht viel. Letzen Endes nur zwei Buchstaben:

D.

U.