text: leowee | fotos: ajoy misra | berlin 2006

_schöne hure stadt_maldoror

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Ich schlafe nicht, sagt die Frau. Das ist wichtig, dass ich immer wach bin.

Zwei Kopfschmerztabletten zerbröseln zwischen meinen Fingern. Die Therapeutin reicht mir ein Glas Wasser. Ich reiche ihr den Fragebogen, auf den ich wahllos meine Kreuze gesetzt habe. Die Halogenlampe über dem Sessel brennt mir auf den Schädel. Hoffentlich werde ich davon nicht blond. Ich setze meinen Hut auf. Würden Sie sagen, Sie hatten eine schwere Kindheit?

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Glüh nicht so gehässig! Ich spucke auf das Display. Die Spucke schäumt auf seiner Ausrede. Läuft ab an seinem verschissenen »sorry, babe«.

Ich lehne mich über die Brüstung. Unter mir atmet die Stadt. Saugt mir die Luft aus den Lungen.

Versetzt der Bastard mich auf meiner eigenen Vernissage! Chansons tänzeln durch die geöffneten Flügeltüren auf die Terrasse, trunken von Lachen. Die Kuppel der Synagoge verschwimmt vor meinen Augen.

Ich stopfe die Lamettaperücke in meine Tasche, nehme mir ein Glas Champagner vom Tablett und verlasse den Saal durch die Hintertür.

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Das Interieur ist quietschrot. Bis auf ein Lesbenpärchen, das in einer Ecke knutscht, sind nur Männer hier. Wir schieben uns gleich vorne auf die Barhocker. Ohne mich zu fragen, bestellt er zwei klare Wodka. Ich protestiere nicht. Unsere Gläser klicken gegeneinander. Er erzählt was von polnischem Wodka mit Bisongras. Ich nicke. Sehe mir seine fleischigen Ohren an. Seine zu kurz geratene Nase.

Früher habe er ja Probleme mit Kondomen gehabt, höre ich ihn plötzlich sagen. Also nicht wegen der Länge, sondern von der Dicke her. Bis er darauf gekommen sei, Größe XL zu kaufen. Seitdem gehe es prima mit Kondomen.

Meine Hände sind klamm. Der Wodka lässt sich Zeit mit seiner Wirkung. Im Lampenschirm vor mir auf dem Tresen schwimmen Plastikfische.

Er wolle ja jetzt nicht angeben, fährt er fort und legt seine Hand auf mein Knie, aber er sei wirklich zufrieden mit seinem Schwanz.

Zwei Kerle glotzen zu uns rüber.

 

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— Ist eine Schwulenbar nicht genau der richtige Ort für dieses Thema? feixt er. Kneift ein Auge zusammen. Fixiert mich so, von oben.

Ich starre in seine Nasenlöcher.

Normalerweise würde er ja mit einer fremden Frau nicht so reden. Aber ich sei so undurchschaubar, er wolle mal meine Grenzen testen.

Ich zünde mir eine Zigarette an.

— Und, hast du sie erreicht?

— Ich habe den Eindruck, sie noch nicht mal tangiert zu haben.

Ich blase ihm meinen Rauch ins Gesicht.

— Übrigens fehlt mir noch ein schwuler Freund in meiner Sammlung.

— Ich habe viele schwule Freunde.

— Kannst du mir dann einen abgeben?

Er lacht und legt ein paar Münzen auf den Tresen.

Draußen zieht er mich fest zu sich ran. Mir ist schwindelig. Er ist groß. Ich schmiege mich in seinen Arm. Bis wir auf der Brücke stehen, bin ich vollends betrunken. Ich lasse mich von ihm küssen und anfassen. Sein Schritt ist hart. Meine Wäsche wird feucht. Es fängt an zu regnen.

Mein Fahrrad lehnt an der Laterne. Ich wühle meine Taschen nach dem Schlüssel durch. Er schiebt mir einen Schein in die Hosentasche und winkt einem Taxi. Wie gut sich das anfühle, wenn eine Frau Geld von ihm annehme. Die meisten Frauen seien da ja heute so unlocker.

Das Taxi hält an, er küsst mich, man sieht sich.

Die Beschleunigung drückt mich in den Sitz. Der Wodka generiert Wolken in meinem Kopf. Leuchtschilder spiegeln sich auf dem Pflaster. Die Scheibenwischer quietschen.